Ein Bett im Wald

Leben in der Natur

Schlafen unterm Sternenzelt, sich selbst in der  Einsamkeit der Natur näherkommen und den Alltagsstress hinter sich lassen. Ist das wirklich so befreiend, wie es scheint? Wir haben mit jemandem gesprochen, der ganze vier Wochen in der Wildnis gelebt hat.

Durchatmen bei Touren durch raue Landschaften, bevor man abends unter freiem Himmel erschöpft in den Schlaf gleitet – das ist sicherlich eine Möglichkeit, um die Akkus wieder aufzuladen. Schlafen unter freiem Himmel müsste derzeit sogar voll im Trend liegen: Das Angebot an Outdoor-Magazinen wie „Bergsteiger“, „Wanderlust“ oder „Natur“ belegt, wie attraktiv Naturerfahrungen sind – gerade für Städter. Klassiker über ein Leben in der Wildnis wie Henry David Thoreaus „Walden“ werden neu aufgelegt. Filme wie „Der große Trip“ oder „Into the Wild“ erzeugen mit großformatigen Landschaftsaufnahmen Sehnsucht nach der großen Freiheit.

Wer noch einen Schritt weiter gehen will, das ursprüngliche und traditionelle naturverbundene Leben unserer Vorfahren wirklich nachempfinden möchte, dem reicht eine Wochenendwanderung vermutlich nicht. Statt Camping oder Abenteuerurlaub gilt das Interesse existenziellen Überlebensstrategien.

Thomas Jakob hat es ausprobiert und eine Ausbildung zum Wildnis-Lehrer absolviert. Zusammen mit Ausbilder Tobias Krüger und drei weiteren Auszubildenden lebte er vier Wochen im fränkischen Wald und lernte, wie ein Leben in freier Wildbahn funktioniert – ganz ohne Supermarkt und Lieferservice, Heizung und fließendes Wasser.

Redaktion: Herr Jakob, vier Wochen im Wald – was hat Sie dazu bewegt?

Thomas Jakob: Mich hat interessiert, wie man zurechtkommen könnte, wenn viele Dinge nicht mehr funktionieren, die wir gewohnt sind und die uns den Alltag erleichtern. Ich wollte wissen, wie es ist, wenn wir auf einmal so leben müssten wie unsere Vorfahren. Was uns Menschen ausmacht, ist ja vor allem unsere Anpassungsfähigkeit. Ich wollte lernen, in der Wildnis zu überleben und zurechtzukommen, meine eigene Anpassungsfähigkeit testen und trainieren. Und ich wollte das nicht nur für eine Woche – so lange kann man notfalls ja auch mal fasten –, sondern für einen repräsentativeren Zeitraum erproben. Die Wildnis-Schule von Heiko Gärtner war eine der wenigen, die eine Intensivausbildung zum Wildnis-Lehrer über vier Wochen anbot. Da ich mich schon beruflich mit traditionell lebenden Völkern und deren Ernährungsgewohnheiten auseinandergesetzt hatte, lag es nahe, einmal am eigenen Leib zu erfahren, wie es ist, völlig autark in der Natur zu leben.

Wie setzte sich das Team zusammen?

Wir waren eine ganz homogene Gruppe, das heißt, alle ganz ähnlich gepolt. Ein Teilnehmer kam aus Hamburg, einer aus Bayern, einer aus der Schweiz, dazu kamen dann noch der Ausbilder Tobias Krüger und ich. Insgesamt waren wir zu fünft, am Schluss aber nur noch zu viert, weil einer abbrach.

Welche Ausstattung durfte mit in den Wald?

Wir durften nur natürliche Materialien mitnehmen, also keine klassischen Outdoorklamotten wie Goretex-Jacken oder andere wasserdichte Regenkleidung. Stattdessen Sachen aus Baumwolle, Schurwolle, Walk, Loden und Ähnlichem. Jedes Material hat ja unterschiedliche Eigenschaften. Besonders schwierig war es, Kleidung aus Naturmaterialien zu finden, die wasserdicht ist oder mit Feuchtigkeit zurechtkommt. Viel hatte ich nicht dabei: drei Paar Socken, drei Unterhosen, zwei T-Shirts, zwei Wollhemden, zwei Hosen und eine Lodenjacke.

Wie waren die ersten Tage im Wald?

Der überdachte Aufenthaltsplatz für die ersten zwei Nächte war schon vorbereitet. Während der ersten Tage haben wir uns dann ein eigenes Lager gebaut. Das war eine traditionelle temporäre indianische Behausung, ein sogenanntes Lean-to aus Baumstämmen und Ästen. Dazwischen kommen noch einmal dünnere Baumstämme und Äste. Zwischen den gegeneinander gelehnten Stämmen bleibt ein Spalt als Abzug für den Rauch. Das Dach wird mit immer kleiner werdenden Ästen, am besten Nadelhölzer, und mit Laub abgedichtet. Außerdem haben wir uns Betten gebaut, aus Tannenzweigen, fächerartig in den Boden übereinander gesteckt. Die Luftschicht darunter war die Dämmung. Obendrauf kam dann noch getrocknetes Heu – für die Bequemlichkeit. Darauf lagen wir dann mit unseren Isomatten und Schlafsäcken.

Wie sah ein typischer Tag aus?

Die erste Handlung am Morgen war Feuermachen – mit traditionellen Methoden, also mit Feuerbogen und Feuerholz oder einem Feuerstein. Das war gar nicht so einfach, vor allem, weil es im Tal, in dem wir kampierten, so feucht war. Es hat oft eine halbe Stunde oder länger gedauert. Danach machten wir uns auf die Suche nach Frühstück. Den Tag über waren wir mit Holzmachen, Feuermachen, Essensammeln und Wasserholen beschäftigt. Immer nur die wichtigsten Dinge. Die Tage vergingen rasend schnell, wir hatten eingeteilt, was die einzelnen Leute machen sollten. Einer kümmerte sich um Wasser, einer um die Nahrung, einer ums Holz, einer ums Feuer, das hat immer gewechselt. Jeder wurde so zum Allrounder.

Wie war das mit alltäglichen Dingen wie Hygiene oder Toilettengängen?

Da kam ziemlich viel Ungewohntes zusammen: Einen Monat lang haben wir uns nur mit eiskaltem Wasser gewaschen, uns nicht rasiert, hatten kein Toilettenpapier. Gerade das war ein ziemlich großer Angstfaktor bei mir. Recht schnell stellen sich aber natürliche Alternativen als guter Ersatz heraus: Moos zum Beispiel. Trotzdem waren die vier Wochen natürlich ein ständiges Heraustreten aus der eigenen Komfortzone. Vieles, was man gewohnt ist und angenehm findet, gibt es da draußen einfach nicht. Es war aber extrem spannend und ich habe schnell gemerkt, dass es gar nicht so schlimm ist, bei Nieselregen im Wald seine Notdurft zu verrichten oder Anfang Oktober im eiskalten Fluss zu baden. Man friert schon, bevor man ins Wasser geht, im Fluss ist es dann noch viel kälter. Aber wenn man rauskommt, ist es super. Ich habe mich so richtig lebendig gefühlt.

Was muss man lernen, um in der Wildnis zurechtzukommen?

Vor allem muss man wissen, was man essen kann, darum haben wir uns intensiv mit Kräuterkunde auseinandergesetzt. Jeden Tag gab es eine Art Wildmischsalat: einmal über die Wiese und zurück und alles mitnehmen, was essbar ist. Das waren zwar recht viele bittere Kräuter, hat aber richtig gutgetan. So gesund habe ich mich selten gefühlt. Außerdem haben wir uns recht schnell mit dem Fallenstellen beschäftigt, um Kleintiere zu fangen. Sonst wären wir wahrscheinlich verhungert. Im Herbst findet man zwar noch einiges an Obst und Nüssen, aber wenn man den ganzen Tag auf den Beinen ist, reicht das nicht. Ich habe in den vier Wochen ganze sieben Kilogramm abgenommen. Und natürlich haben wir gelernt, ein Lager aufzubauen. Dafür haben wir Schnüre sogar selbst gemacht und bestimmte Knoten gelernt. Einmal baute sich jeder von uns eine Nothütte im Wald. Sie war mit Laub gefüllt, das erst durch die Körperwärme angenehme Temperaturen erreicht. Darin haben wir ohne Schlafsack eine Nacht verbracht, sogar bei Minusgraden. Das war ganz schön happig. Tobias, unser Lehrer, hat uns auch ins Fährtenlesen, in traditionelle Jagdmethoden und das Ausnehmen von Tieren eingeführt. Dabei hat er die Methode des „Coyote-Teaching“ angewendet, das bedeutet, er als Mentor stellt Fragen und wir, seine Schüler, beantworten sie uns selbst. Er „stupste“ uns sozusagen nur in die richtige Richtung.

Was stand alles auf Ihrem Wildnis-Speiseplan?

Wir waren im Herbst zur Erntezeit dort, so hatten wir zumindest genug zum Überleben. Üppig ist aber etwas anderes. Überhaupt ist es sehr wichtig, Nahrung zu beschaffen. Zum Frühstück gab es meist einen warmen Obstbrei mit Hagebutten oder Beeren und manchmal auch mit Kräutern wie Giersch. Dazu einen Tee aus sogenannter Strahlenloser Kamille und Fichtennadeln. Äpfel konnte ich irgendwann nicht mehr sehen. Ansonsten standen beispielsweise Frösche, Mäuse und Hasen oder auch Forellen und Insekten auf dem Speiseplan. Trotzdem habe ich in den ersten zwei Wochen extrem abgenommen.

Was war besonders hart für Sie?

Das Wetter. Obwohl ich ein sehr naturverbundener Mensch bin, musste ich mich erst daran gewöhnen, immer draußen zu sein. Leider hatten wir nur selten einen goldenen Herbst mit schönem Wetter. Es gab keinen Tag, an dem ich keine Mütze aufhatte. Es war einfach immer kalt und feucht. Oft hat es genieselt. Heftigen Regen hatten wir zum Glück nicht so oft. Trotzdem wurde interessanterweise keiner krank, nicht mal eine Erkältung bekamen wir.

 Was haben Sie am meisten vermisst?

Eine warme Dusche ist einfach etwas Tolles: den Wasserhahn aufdrehen und die warmen Tropfen auf der Haut genießen, das hat mir gefehlt. Und eine Heizung, die habe ich auch vermisst – es ist ein riesiger Luxus, dass wir normalerweise nicht frieren müssen. Ansonsten hat mir gar nicht so viel gefehlt. Vielleicht noch Salz zum Würzen – ohne sind die meisten Speisen recht fad …

Und was hat gar nicht gefehlt?

Mein Mobiltelefon. Es muss vielleicht nicht immer ein Monat in der Wildnis sein, aber ich hätte gern öfter mal ein Wochenende, das ich „out of civilization“ in der Natur verbringen kann. Kein Handy, keine mobilen internetfähigen Geräte und komplett raus aus dem beruflichen und privaten Alltag. Das holt einen so richtig runter und entspannt besser als jedes Wellness-Wochenende. Mich zumindest. Der Alltag holt einen danach sowieso total schnell wieder ein.

Was haben Sie aus der Zeit im Wald mitgenommen?

Ich habe in der Zeit dort viel nachgedacht und viel über mich selbst gelernt. Auch der Umgang miteinander war sensationell: offen und ehrlich. Den Leuten war es egal, wie du aussiehst, du hast einen Monat lang keinen Spiegel gehabt, dich einen Monat lang nicht rasiert, du hast nach Feuer gerochen, nicht nach deinem Lieblingsparfum. Statussymbole zählen dort nicht. Das würde ich mir manchmal für unsere zivilisierte Welt auch wünschen. Es ist heftig, was man als Mensch unter sozialen Gesichtspunkten in der Zivilisation verlernt. Viele werden regelrecht krank davon. Dabei geht es nicht nur um Ernährung und Bewegung, auch um ein soziales Gefüge, einen Stamm, den man um sich hat. Der einem das Gefühl gibt, dass man gut so ist, wie man ist.

Wie äußert sich das konkret?

Dankbarkeit war außerdem ein großer Faktor, bei jedem Essen gab es einen kleinen Teller für die „Ahnen“, wir haben uns bedankt, dass ein Tier oder eine Pflanze ein Opfer gegeben hat, damit wir weiter existieren können. Das habe ich auch für meinen jetzigen Alltag mitgenommen.

Ihre wichtigste Erfahrung?

Wenn man auf einmal aus der Zivilisation in die Natur hineingeworfen wird, merkt man erst mal, dass Überleben gar nicht so einfach ist. Weil man keine Vorräte, kein überliefertes Wissen, kein Stammessystem hat, in dem Wissen über Generationen angesammelt und weitergegeben wurde. Bei indigen lebenden Völkern war und ist das selbstverständlich und lebensnotwendig. Wir haben ohne diese Vorarbeit hart gekämpft. Es war aber trotzdem oder gerade deswegen eine sensationelle Erfahrung. In der Natur läuft alles etwas langsamer, man steht nicht so unter Strom. Zeit spielt eine untergeordnete Rolle. Man muss sich den Rhythmen der Natur notgedrungen anpassen. Mich haben die vier Wochen komplett runtergeholt. Es hat mir gezeigt, wo wir Menschen eigentlich herkommen. Wie wir heute leben, ist großer Luxus, den wir oft gar nicht zu schätzen wissen. Es wäre sicher eine Bereicherung, die Vorteile unserer modernen Gesellschaft stärker mit traditionellem Wissen zu kombinieren.

Kleine Wildnis-Auszeiten

Für alle, die nicht gleich ganz aussteigen wollen, gibt es Angebote für kleine Fluchten aus dem Alltag. Unter anderem finden sich 5-tägige Wildnis-Seminare, in denen man beispielsweise lernt, einen Lagerplatz zu bauen, Spuren zu lesen und sich ohne Kompass zu orientieren. Auch Vater-Sohn-Wildnis-Wochenenden können Sie ebenso buchen wie Wildnis-Wanderungen für alle Altersklassen.

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