Die Positive Psychologie untersucht, was menschliches Wohlbefinden ausmacht. Dabei bleibt es nicht bei grauer Theorie. Sie hat auch ein paar Rezepte dafuÌr, wie man es steigert.Â
Die Menschen aller Epochen haben sich uÌber das GluÌck den Kopf zerbrochen, haben es in Bibliotheken oder auch am anderen Ende der Welt vermutet, haben es in Weisheit, Enthaltsamkeit oder auch Sinnesfreuden gesucht. Und trotzdem verursachte der amerikanische Psychologie-Professor Martin Seligman 1998 einigen Wirbel, als er seinen Zugang zu diesem Thema mit seinen Fachkollegen teilte. Und das ist zuruÌckhaltend formuliert. âHĂ€tte ich nicht Seligman geheiĂen, hĂ€tten sie mich wahrscheinlich aus der Gemeinschaft ausgeschlossenâ, wird er spĂ€ter sagen.
Was war passiert? Seligman hatte bei seiner Antrittsrede als PrĂ€sident des amerikanischen Psychologenverbands beanstandet, dass sein Fach zu stark auf Krankheiten und deren Behandlung ausgerichtet sei und zu wenig darauf, was Menschen ausfuÌlle und in ihrer Entwicklung gedeihen lasse. SchlieĂlich, so argumentierte er, gebe es doch auch allerhand menschliche StĂ€rken.
Es gibt gute GruÌnde dafuÌr, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Denn dass alle Menschen ihre Grundhaltung zum Guten hin selbst beeinflussen können, behauptet zumindest die Positive Psychologie, jener Forschungszweig, der wenige Jahre nach Seligmans Appell begruÌndet wurde und in dessen Fokus gute GefuÌhle stehen. Er untersucht, was Wohlbefinden hervorruft und aufrechterhĂ€lt, er will sogar das âMaĂ des AufbluÌhens auf
unserem Planetenâ vermehren, wie Pionier Seligman in seinem Buch âFlourishâ ganz unbescheiden schreibt.
Was das Leben lebenswert macht
Aber jetzt Hand aufs Herz. Was wissen er und seine Kollegen daruÌber, was das Leben lebenswert macht? Untersuchungen zeigen, dass eine positive Grundhaltung mit besserem Schlaf, weniger Schmerzen und einem lĂ€ngeren Leben einhergeht. Positive
GefuÌhle wirken sich also uÌber den Moment hinaus auf das Wohlbefinden aus, und zwar gemeinsam mit vier weiteren Faktoren. Das sind Anteilnahme/Einsatz, Sinn, Errungenschaften/Erreichtes sowie gute soziale Beziehungen.
Wer diese Komponenten sucht und ausbaut, kann also das eigene Wohlbefinden steigern â und zwar viel nachhaltiger als beispielsweise mit einem Lottogewinn. Sinn zum Beispiel entsteht nach Seligman, wenn man seine StĂ€rken fuÌr etwas einsetzt, was uÌber einen selbst hinausreicht. Was das ist, muss jeder fuÌr sich selbst herausfinden â fuÌr die einen bedeutet es vielleicht, die eigenen Kinder groĂzuziehen, fuÌr andere, im Seniorenheim Ă€lteren Menschen vorzulesen oder sie beim Spaziergang zu begleiten.
Um die eigenen StĂ€rken fuÌr sich und andere einzusetzen, muss man sie erst einmal kennen. Dabei helfen Tests wie der des Positive Psychology Centers, dessen Direktor Martin Seligman ist. Einfach registrieren und die eigenen StĂ€rken entdecken unter
www.authentichappiness.sas.upenn.edu/de/testcenter
Seligman zufolge sind freundliche Gesten gegenuÌber den Mitmenschen ganz besonders förderlich fuÌr die eigene Stimmung. Dass er das nicht nur von seinen Recherchen weiĂ, sondern selbst erprobt hat, schildert eine Anekdote. Nachdem das Briefporto um einen Cent gestiegen war, stand er vor einem Postschalter in einer langen Schlange genervter Menschen. Endlich an der Reihe, kaufte er fuÌr zehn Dollar zehn Bögen mit jeweils hundert Marken und schenkte sie den Wartenden. Nach ein paar Augenblicken hatte er das begehrte Gut unter groĂem Jubel verteilt â fuÌr Seligman einer der schönsten Momente uÌberhaupt.
Negative GefĂŒhle nicht vermeiden
Ein UngluÌck kommt bekanntlich selten allein, was umgekehrt aber auch fuÌr das GluÌck gilt. Das ist auch fuÌr Wissenschaftler ein Thema. âPositive GefuÌhle und Offenheit bedingen sich gegenseitig und wirken wie Katalysatoren fuÌreinander. Eine positive Lebenseinstellung setzt also eine AufwĂ€rtsspirale in Gangâ, schreibt die amerikanische Psychologie-Professorin Barbara Fredrickson. Wer sich entwickeln will, muss negative Emotionen jedoch nicht völlig vermeiden.
EnttĂ€uschungen, Ărgernisse und Abschiede gehören zum Leben dazu, die Existenz von Widrigkeiten ist weder zu leugnen, noch sind diese mit aller Gewalt in ihr Gegenteil umzudeuten.
Als Richtschnur plĂ€diert Fredrickson in ihrem Buch âDie Macht der guten
GefuÌhleâ fuÌr den â3-zu-1-Quotientenâ. Sie empfiehlt, dreimal hĂ€ufiger positive Erlebnisse als negative zu haben und gegebenenfalls dabei nachzuhelfen â indem man Raum schafft fuÌr Momente der Heiterkeit, des Interesses, der Ehrfurcht oder auch etwa der Dankbarkeit. Dabei helfen soll der Blick auf Fragen wie diese: Was ist an meinen LebensverhĂ€ltnissen gut? Wie profitiere ich davon, inwiefern bringen sie anderen einen Nutzen?
Auch derjenige, dem eine positive Haltung nicht in die Wiege gelegt ist, kann diesen Weg mit ein bisschen Arbeit erfolgreich gehen. Gefragt sind Entschlossenheit und Geduld. Und etwas Vertrauen darauf, dass unterm Strich all die kleinen Momente zÀhlen. jl //
Gute GefĂŒhle ĂŒben
DIE DANKBARKEITSĂBUNG: der Klassiker. Schreiben Sie vor dem Schlafengehen drei Dinge auf, die an diesem Tag gut gelaufen sind, und was dazu gefuÌhrt hat. Zum Beispiel, dass Sie mit Ihrem besten Freund Kaffeetrinken waren und ein tolles GesprĂ€ch mit ihm
hatten. Oder dass Ihr Mann das Bad geputzt hat â sei es, weil er die Notwendigkeit erkannt hat oder weil Sie ihn auf die Idee gebracht haben. Das schĂ€rft den Blick fuÌr Dinge, die gut laufen.
DAS ERFOLGSTAGEBUCH: Wenn Sie die DankbarkeitsuÌbung noch intensivieren wollen, können Sie auch ein Erfolgstagebuch fuÌhren, in welchem Sie sich jeden Tag Fragen stellen und beantworten. Beispielsweise: Was hat mich heute gluÌcklich gemacht? Was war besonders schön heute? Was hat jemand anderes getan, das mich gefreut hat? Das macht achtsamer fuÌr die schönen Seiten des Lebens und auf Dauer auch gluÌcklicher.
DER WERTSCHĂTZUNGSBESUCH: Oft genug sind es unsere Mitmenschen, die unser Leben lebenswert machen, die es bereichern oder ihm eine neue Wendung geben. Warum es ihnen nicht mal sagen? Zum Beispiel in einem Brief. Der Adressat wird sich
auch freuen, ihn in der Post vorzufinden. Aber fuÌr die Mutigen, die die NĂ€he der Begegnung nicht scheuen, ist noch eine Steigerung drin: Vielleicht kuÌndigen Sie
sich an und lesen Ihren Brief persönlich vor? Das fördert die IntensitÀt.
Experten-Interview „Das Potenzial zum GlĂŒcklichsein ist uns und allen angelegt“
Nathalie Marcinkowski ist Expertin fuÌr angewandte Positive Psychologie. Die Psychologin aus Essen begleitet als Coach und Autorin Menschen auf dem Weg zu mehr GluÌck, Achtsamkeit und Selbstentfaltung.
Frau Marcinkowski, Sie sind Expertin fuÌr angewandte Positive Psychologie. Gibt es so etwas wie ein Patentrezept fuÌr eine positive Grundhaltung?
Das gibt es, zumindest fuÌr den ersten Schritt. Er besteht darin, sich selbst zu erlauben,
gluÌcklich zu sein. Das ist gar nicht so einfach, denn es gibt viele GlaubenssĂ€tze, die uns unbewusst davon abhalten. Etwa wenn wir denken, wir muÌssten erst unsere To-do-Listen abarbeiten oder andere gluÌcklich machen, bevor wir es selbst sein duÌrfen.
Ihr 2019 erschienenes Buch trĂ€gt den Titel âWas gluÌckliche Menschen anders machenâ. Was genau machen sie anders?
Sie haben ihr GluÌck zur PrioritĂ€t gemacht. Das ist aber nicht mit Egoismus zu verwechseln. Es bedeutet, dass sie sie selbstsind. Was bei solchen Menschen passiert, ist mit Blumen vergleichbar. Wenn sie bluÌhen, bringen sie Schönheit in ihre Umgebung. Und wenn Menschen zum Besten werden, was sie sein können, tragen sie bei zum GluÌck in der Mitwelt.

Buchtipp
âWas gluÌckliche Menschen anders machenâ von Nathalie Marcinkowski, Trias-Verlag, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-432-10875-9, 14,99 Euro.
â Zum Buch
Als Coach helfen Sie auch anderen Menschen, mit besseren GefuÌhlen durchs Leben zu gehen. Wirkt die Positive Psychologie bei jedem?
In sehr schweren FĂ€llen wuÌrde ich als Psychologin zusĂ€tzlich eine Therapie empfehlen. Aber grundsĂ€tzlich ist das Potenzial dazu, gluÌcklich zu sein, in uns allen angelegt, sodass die Ăbungen der Positiven Psychologie in kurzer Zeit zu Ergebnissen fuÌhren. Bei Probanden bewirkt die DankbarkeitsuÌbung (siehe Kasten) schon nach einer Woche eine fuÌhlbare VerĂ€nderung. Wichtig ist, sich darauf einzulassen. Und dranzubleiben, auch wenn ein Tag vielleicht mal nicht so gut lief.