Kolumne: Ein Treffen mit mir selbst

Allein sein

Allein auf Reisen, allein zum Konzert – all das hat unsere Autorin schon gemacht. Sie hat kein Problem mit dem Alleinsein, sondern braucht es sogar. Doch wann wird es zu viel? 

Das Verrückteste, was ich je allein gemacht habe, war eine Taxifahrt durch die Kysylkum-Wüste in Usbekistan. Natürlich war ich nicht ganz allein – neben mir saßen der Fahrer und auf dem Rücksitz drei junge Burschen. Nur wenige russische Worte konnten wir wechseln. Es war mörderisch heiß, staubtrocken und stundenlang war keine Stadt zu sehen. Zwei Liter Wasser reichten mir nur knapp. Mein Ziel war Chiwa, eine Oasenstadt im Nordwesten von Usbekistan.
Ich war damals aufgrund eines Freiwilligendienstes dort und wollte unbedingt das Land kennenlernen. Auf diese Reise nach Chiwa konnte leider niemand mit. Meine usbekische Freundin schüttelt noch heute den Kopf über mich: Sie meint, ich hätte mich – gerade als Frau – in große Gefahr gebracht. Wobei das meiner Meinung nach noch harmlos war, im Vergleich zu Reisen, die andere allein machen: auf eigene Faust durch Vietnam oder Südamerika – das verlangt nach richtig viel Mut. Alleinreisende hoffen auf intensive Erlebnisse und Selbsterfahrung: Ruhe finden, bei sich selbst ankommen, die eigenen Grenzen kennenlernen. Mir wäre das allerdings dann doch zu einsam. Das Schöne an (langen) Reisen ist für mich letztendlich das Teilen gemeinsamer Erlebnisse.

Ansonsten habe ich kein Problem mit dem Alleinsein. Im Gegenteil, ich suche es. Nicht jeden Tag, aber regelmäßig. Allein bin ich ganz ich selbst, ganz bei mir. Ich kann aufatmen von sozialen Eindrücken und Erwartungen, es gibt keine Fragen, Ablenkung und Zerstreuung. Meine Gedanken schweifen umher, beschäftigen sich mit diesem und jenem – und ab und zu entsteht eine kreative Idee, zum Beispiel für einen Text. Ich bin fest davon überzeugt: Wer ein Problem lösen möchte oder auf der Suche nach einer zündenden Idee ist, sollte sich ins Alleinsein zurückziehen. Im Anschluss kann diese ja immer noch in Gemeinschaft diskutiert werden.
Sie merken, ich breche eine Lanze fürs Alleinsein. Das liegt aber auch daran, dass ich zum Persönlichkeitstypus des Introvertierten zähle. „Intros“ suchen die Stille und Abgeschiedenheit, um wieder Energie zu tanken, während Extrovertierte ihr Wohlbefinden aus der Gesellschaft anderer Menschen ziehen. Und auch wenn es nicht auf der Hand zu liegen scheint: Extro- und Introvertierte können wunderbare Freundschaften haben. Während die „Extros“ die „Intros“ raus ihrer Komfortzone rein ins Leben holen, sind „Intros“ oft aufmerksame Zuhörer und treue Freunde.

Doch auch wenn beide Persönlichkeitstypen ein unterschiedliches Bedürfnis nach Nähe haben – wohl kaum ein Mensch ist gern einsam. Einsamkeit heißt, das emotionale
Verbundensein mit anderen Menschen schmerzlich zu vermissen. Studien zufolge fühlt sich jeder zehnte Deutsche einsam. Besonders ältere Menschen trifft es häufig, aber auch jüngere sind darunter.

Einsamkeit ist ein schrecklicher Zustand. Deshalb vergesse ich trotz meiner Liebe zum Alleinsein nicht meine Familie und Freunde, sondern pflege die mir so kostbaren Kontakte, in dem Wissen, dass sie nicht selbstverständlich sind. Ob intro oder extrovertiert – wir brauchen Menschen, denen wir vertrauen, die uns bestätigen, aber auch wieder auf den Boden der Realität zurückholen. Bis zum nächsten Abtauchen in die eigene innere Welt. jab //

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