Selbstentwicklung – Arbeit am Ich

Selbstverwirklichung

Jetzt wird es persönlich: Sind Sie zufrieden mit sich? Und mit Ihrem Leben? Ratgeber und Coaches versprechen Glück und Erfüllung durch Selbstentwicklung. Das Ziel: die beste Version des Selbst. Doch kann man sich überhaupt verändern? Und wenn ja, wie? 

Ich lausche dem Monolog meines Sitznachbarn im ICE von Frankfurt bis Berlin über seine Verschwörungstheorien, während mein Buch ungelesen auf dem Tisch liegt. Wenn sich jemand vordrängt, sage ich meistens: nichts. Kleine Gehässigkeiten eines Kollegen überhöre ich, denn bestimmt hat er einfach nur einen schlechten Tag. Kurz: Im Grenzensetzen bin ich miserabel. Dennoch hat das Leben nicht aufgegeben und präsentiert beharrlich immer wieder neue Situationen, in denen ich an dieser alten Schwäche arbeiten darf. Jedes Mal ahne ich, wie viel leichter und schöner vieles sein könnte, wenn ich mich ändern könnte. Ich hätte zum Beispiel schon ein Buch mehr gelesen …

Ist eine Persönlichkeitsveränderung überhaupt möglich?

Zum Teil. Zwar ist etwa die Hälfte unserer Persönlichkeit genetisch festgelegt und unveränderlich. Aber Erfahrungen prägen und formen die andere Hälfte. Hier besteht Veränderungspotenzial. Den alten Erfahrungen können wir neue entgegensetzen. Unser Charakter ist vergleichbar mit unserem Körper: An der Größe können wir nichts ändern, an der Breite und Form jedoch schon. Und wie bei einer körperlichen Veränderung ist auch die Arbeit an der Persönlichkeit anstrengend. Denn unser Gehirn ist ein „Meister im Energiesparen“, es greift aus Effizienzgründen auf gelernte, quasi einprogrammierte Verhaltensmuster zurück. Wenn wir Fahrrad fahren oder uns die Schnürsenkel binden, passiert dies ganz automatisch. Das ist praktisch, denn es erspart uns Zeit und Kraft. Wenn uns einprogrammiertes Verhalten aber schadet, wie zum Beispiel aus Konfliktscheu eigene Bedürfnisse zu missachten, dann hat es einen Nachteil. Mit der puren Fehlermeldung, dass dieses Verhalten zwar eine Lösung, aber eben nicht die beste ist, ist es nicht getan. Sich zu ändern und weiterzuentwickeln, erfordert Energie und Geduld.

Sollte ich mich verändern?

Die Antwort liegt in der Frage: Geht es mir gut? Und da Sie keinen Small Talk mit sich selbst halten, dürfen Sie unbedingt ehrlich sein. Lautet Ihre Antwort ohne Einschränkungen „Ja“, genießen Sie den Zustand, denn schließlich gibt es keinen Zwang zur Selbstoptimierung. Es geht in der Selbstentwicklung einzig darum, zufriedener und ausgeglichener zu sein, das Leben zu führen, das Sie sich wünschen und in dem Sie sich wohlfühlen.
Nach Jens Corssen gelingt dies durch eine gehobene Gestimmtheit. In seinem Ratgeber zur Selbstentwicklung „Das Corssen-Prinzip“ beschreibt der Psychologe, Coach und Autor diesen Zielzustand als bewusste Entscheidung zur Selbstliebe. Es geht um eine Haltung, mit der das Leben inklusive Höhen und Tiefen voll und ganz angenommen wird. Angestrebt wird nicht grenzenloser Optimismus, sondern der klare Abschied aus der Opferrolle.

Wie geht Selbstentwicklung?

Das „Corssen-Prinzip“ gibt uns vier Werkzeuge an die Hand, die zum Ziel der gehobenen Gestimmtheit führen. Dies sind Selbst-Bewusstheit, Selbst-Verantwortung, Selbst-Vertrauen und Selbst-Überwindung. Corssen nutzt zwei Figuren, um zu erklären, was uns hindert und was uns hilft: „Survivalman“ ist dabei der innere Kritiker, der uns antreibt, dem wir es aber doch nie recht machen können. „Happyman“ ist sein Gegenspieler und die Figur, die uns mit freundlicher Stimme mehr Gelassenheit und Lebensfreude erlaubt.
Grundlage der Selbstentwicklung ist die Selbst-Bewusstheit im Sinne einer Selbsterkenntnis: Was denken Sie über sich? Welche Erwartungen haben Sie an sich und an das Leben? Welche Bedürfnisse und welche Werte haben Sie? In der Selbst-Verantwortung geht es um die klare Entscheidung für die eigene Zufriedenheit. Mit diesem Werkzeug wird die Opferrolle abgelegt. Das Selbst-Vertrauen stärkt den Glauben in die eigene Kraft, die erlaubt, Einfluss zu nehmen, das Leben zu gestalten. Und auch wenn es schmerzt, mit der Selbst-Überwindung kann geändert werden, was nicht zu Ihnen passt oder Ihren Zielen im Weg steht. Selbstentwicklung ist die Entscheidung, am Leben zu wachsen und nicht zu verzagen.
Das klingt nach einem guten Plan. Sollte ich also wieder einmal im ICE sitzen, werde ich sicher die Erwartung haben, meine Reisezeit mit einem schönen Buch zu genießen. Sollte ein Sitznachbar anfangen, mich darüber aufklären zu wollen, dass es in Deutschland keine Demokratie gebe und von welchen Mächten wir eigentlich gelenkt würden, weiß ich: Niemand im Abteil wird hier eingreifen. Das muss und will ich selbst tun. Auch wenn es ein klein wenig Überwindung kosten wird, zu unterbrechen und zu sagen: „Interessant, aber ich möchte gerne lesen.“ Ein erster Schritt, meine Grenzen wachsen zu lassen. Und was haben Sie vor? gs //

Tipp:
Möchten Sie mehr über sich erfahren? Mit dem psychologisch fundierten und kostenlosen Test können Sie herausfinden, welche Facetten Ihre Persönlichkeit hat:
www.psychomeda.de/online-tests/persoenlichkeitstest.html

Zum Weiterlesen

„Das Corssen-Prinzip: Die vier Werkzeuge für ein freudvolles Leben“ von Jens Corssen, Arkana Verlag 2016, 19,99 Euro
Ein Ratgeber mit erzählerischen und Comic-Elementen, der anhand von vier Fällen erklärt, welchen Einfluss die Einstellung zum Leben, zu anderen Menschen und sich selbst auf Wohlbefinden und Erfolg hat. Ziel ist es, das Gefühl von Ohnmacht in Selbstermächtigung zu verwandeln.

„ida – die Lösung liegt in dir“ von Eva-Maria Zurhorst, Goldmann Verlag 2015, 12,99 Euro
Ein umfangreiches Selbstentwicklungsprogramm, das mit Meditationen, Reflexionen und Körperübungen dabei unterstützen möchte, das Potenzial der Persönlichkeit voll auszuschöpfen. Mit Übungs-CD.

„Der innere Garten: Ein achtsamer Weg zur persönlichen Veränderung“ von Michaela Huber, Junfermann Verlag 2010, 22 Euro
Ein praxisorientiertes Buch, das mit 14 Übungen durch den Prozess der Veränderung leitet. Ziel ist es, von einer erlernten Hilflosigkeit eigene Fähigkeiten und Ressourcen wiederzuentdecken und zu nutzen. Mit Übungs-CD.

Experten-Interview mit Jens Corssen, Psychologe, Coach und Autor

Warum bieten Sie ein Coaching für Selbstentwicklung? Und was macht das Konzept aus?

Seelische Probleme und psychosomatische Erkrankungen haben in den letzten Jahren bedeutend zugenommen, viele fühlen sich durch die Herausforderungen der „neuen Welt“ zunehmend verunsichert und überfordert. Gedanken wie „Das macht mich krank“ oder „Das darf doch nicht wahr sein!“ verstärken noch die vorhandenen Angst- und Ohnmachtsgefühle. Mit der Philosophie und Praxis des Selbst-Entwicklers, der sich entschieden hat, am Leben zu wachsen und nicht zu verzagen, kann man die Opferrolle verlassen. Selbst-Bewusstheit und Selbst-Verantwortung sind die Schlüssel zu einer gelingenden Lebensgestaltung.

Was verstehen Sie unter Selbst-Bewusstheit und Selbst-Verantwortung?

Was ist, ist. Und wie ich dazu Stellung beziehe, bestimmt mein Erleben. Wer sich darüber bewusst wird, dass nicht die wechselnden Situationen seine Gestimmtheit bestimmen, sondern erst die Art, wie er diese Gegebenheiten beurteilt, hat die Macht über sein Erleben. Es geht erst einmal darum, seine automatischen negativen Gedanken, mit denen man sich „beschwert“, zu bemerken. „So eine Unverschämtheit!“ kann man dann durch den selbstbestimmten Gedanken „Die Situation ist mein Coach“ ersetzen. Im Kontext „Das Leben ist eine Ganztagsschule“ kommt man aus der leidenden Opferrolle in die aktive Macher-Position. In welcher Trainingseinheit bin ich jetzt? Was ist für mich von Bedeutung, was will ich? Welche Lösungsmöglichkeiten habe ich? So wird man zum Boss seiner Entscheidung und seiner Gestimmtheit.

Wie gewinnt man mehr Kontrolle über das eigene Denken und Tun?

Eine andere Formel, durch die man geistig-seelische Stärke gewinnt, heißt: „Wo ich bin, will ich sein.“ Es ist eben unterm Strich noch das geringste Übel, für das man sich täglich entscheidet. Wer sich diese Erkenntnis immer wieder bewusst macht, verlässt seine Opferrolle. So erschafft er sich Raum für positives Erleben. Allein schon, wenn man das Klagen „Ich muss“ durch die Entscheidung „Ich will“ ersetzt, befreit man sich von der Fremdbestimmtheit und erhält die Verantwortung für sein Tun zurück. Kurz: Wer weiß, dass er seine Stimmung selbst erzeugt und zu 100 Prozent Verantwortung für sein Tun übernimmt, gewinnt Macht über sein Erleben und sein Leben.

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