Die Heilkraft des Wassers

Sebastian Kneipp entwickelte vor 200 Jahren eine ganzheitliche Therapie, die seiner Zeit weit voraus war: das Kneippen. Seine Wasseranwendungen sollen das Immunsystem stärken und die Beschwerden vieler Krankheiten lindern. medpex stellt die fünf Säulen der Kneipp-Kur vor.

Eine Kneipp-Kur machen? Das galt viele Jahre lang als altmodisch, eine Behandlung für Senioren in Kurhäusern. Das hat sich geändert. Heute, zum 200. Geburtstag von Sebastian Kneipp am 17. Mai, erlebt die von ihm konzipierte Therapie eine Renaissance. Seit 2016 zählt sie als „traditionelles Wissen und Praxis nach der Lehre Sebastian Kneipps“ zum geschützten immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Mehr als 160 000 Mitglieder in deutschen Kneippvereinen bekennen sich zu den Ratschlägen des Pfarrers und gestalten ihr Leben nach den Empfehlungen des „Wasserdoktors“. Denn eigentlich war Kneipp seiner Zeit weit voraus. Er dachte den Menschen ganzheitlich: Körper, Geist und Seele gehörten für ihn immer zusammen. Die von ihm entwickelte Therapie basiert daher auf fünf Säulen: Wasseranwendungen, Heilkräuter, gesunde Ernährung, Bewegung und Lebensordnung. Ein Kneipp-Therapie soll die Gesundheit stützen und viele Beschwerden lindern. Sie aktiviert die Selbstheilungskräfte und stärkt das Immunsystem,
hilft bei Durchblutungs- und Kreislaufstörungen, bei Stress und Erschöpfung, bei Gelenk- und Muskulaturerkrankungen sowie bei Schlafstörungen.

1. WASSERANWENDUNGEN

Die Wassertherapie, die sogenannte Hydrotherapie, ist das Herzstück des Kneippens. „Lernet das Wasser und seine Anwendungen und Wirkungen recht kennen und es wird euch Hilfe bringen, wo Hilfe möglich ist“, so beschrieb Kneipp selbst seinen Ansatz. Die Therapie bietet rund 100 verschiedene Anwendungen mit kaltem und warmem Wasser. Beispielsweise wird dem Körper durch die Berührung mit kaltem Wasser Wärme entzogen, in der Folge muss er wieder Wärme erzeugen. Dabei wird die Durchblutung angeregt, was sich positiv auf Heilungsprozesse und das Immunsystem auswirkt.

Richtige Dosierung: Um eine positive Reaktion zu erzielen, gibt es für die Anwendungen einige Grundregeln. Akute entzündliche Krankheitsprozesse fordern eher Kaltreize, chronische sind besser durch Wärme zu behandeln. Temperatur und Dauer müssen richtig dosiert werden, damit es bei niedrigem Blutdruck nicht zu Herzklopfen nach einem Vollbad kommt oder man nach einer kalten Anwendung lange friert. Nach jeder Anwendung mit kaltem Wasser ist die Wiedererwärmung wichtig, im warmen Bett oder durch Bewegung. „Für die Reizstärke gilt: Kleine Reize entfachen die Lebensfunktion, gut dosierte, mittlere Reize kräftigen und übergroße Reize schaden“, erklärt der Kneipp-Spezialist Robert Bachmann, Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren in Bad Wörishofen.

Milde Waschungen: Die Kneipp-Waschungen gehören zu den mildesten Anwendungen der Wassertherapie. Mit einem Waschtuch wird auf den ganzen Körper oder bestimmte Körperabschnitte ein dünner, meist kalter Wasserfilm aufgetragen. Dieser Reiz bewirkt zunächst eine Gefäßverengung und anschließend eine Gefäßerweiterung mit angenehmem Wärmegefühl. Regelmäßig durchgeführt, bewirken Waschungen eine Harmonisierung im vegetativen Nervensystem. Ebenso stabilisieren sie den Wärmehaushalt, der bei rheumatischen Erkrankungen wichtig ist. Außerdem stärken sie das Immunsystem und können als gezielte Maßnahme verdauungs- und schlaffördernd oder auch fiebersenkend angewendet werden. Die Oberkörperwaschung wird besonders bei Erschöpfung, funktionellen Organstörungen, rheumatischen Erkrankungen, Erkältungsanfälligkeit und Kreislaufstörungen eingesetzt. Die Unterkörperwaschung eignet sich bei Einschlafstörungen, Krampfadern, Darmträgheit und Blähungen sowie bei Schilddrüsenüberfunktion.

Zur Wassertherapie zählen außerdem noch Wassertreten, Arm,- Sitz-, Teil- und Vollbäder, Wickel und kalte und warme Packungen, beispielsweise mit einem Heublumensack oder Kompressen aus einem gefalteten Leinentuch.

2. HEILKRÄUTER

Die Pflanzenheilkunde war für Pfarrer Kneipp keine Alternative, sondern eine sinnvolle Ergänzung der Wasseranwendungen. Heilpflanzen in Tees, Bade- und Inhalationszusätzen oder als Auflagen und Wickel verstärken den Effekt der Wasseranwendungen. Die pflanzlichen Wirkstoffe, beispielsweise von Linden und Lavendelblüten, Baldrian, Rosmarin und Arnika schützen vor Erkrankungen und lindern Beschwerden.

3. GESUNDE ERNÄHRUNG

Eine ausgewogene, gesunde Ernährung galt für Sebastian Kneipp als Voraussetzung für körperliches Wohlbefinden: „Wer gesund und kräftig bleiben will und ein hohes Alter zu erreichen wünscht, der bewahre Einfachheit und Mäßigkeit in Speise und Trank.“ Ziel seiner Ernährungstherapie ist eine Entlastung des Stoffwechsels, was insbesondere für Krankheiten wie Diabetes, Übergewicht und Gicht von Bedeutung ist. Kneipp empfahl eine natürliche Kost, um dem Körper Mineralien, Spurenelemente und Vitamine zuzuführen. Schon vor 200 Jahren war er ein Verfechter der Vollwertkost. Seinen Patienten empfahl er viel Vollkornprodukte, Gemüse und Obst. Auf Fleisch, Kaffee und Alkohol sollten sie möglichst verzichten.  

4. BEWEGUNG

Zu der ganzheitlichen Therapie von Kneipp gehört auch ausreichend Bewegung, um das Herz, den Kreislauf, die Leistungsfähigkeit und das Immunsystem des Körpers zu stärken. Kneipp empfahl vor allem Ausdauersportarten; dazu gehören Radfahren, Schwimmen, Joggen und Wandern. Aber auch Gymnastik oder ein ausgiebiger Spaziergang an der frischen Luft fördern die Gesundheit und helfen, Stress abzubauen. Die gewünschten besseren Leistungen und eine bessere Fitness erreicht man in allen Sportarten nur dann, wenn man regelmäßig übt, möglichst dreimal pro Woche jeweils 45 Minuten.

5. LEBENSORDNUNG

Die fünfte Säule der Kneipp-Therapie entspricht der heutigen Work-Life-Balance. Die Lebensordnung steht für einen gesunden Wechsel von Anstrengung und Ruhephasen, für Ausgeglichenheit und innere Stabilität. „Erst als ich Ordnung in die Seelen der Menschen brachte, besserten sich auch die körperlichen Gebrechen“, erklärte Kneipp. Er erkannte, dass seelische Konflikte zu psychosomatischen Beschwerden führen und die Ursache für Krankheiten sein können. Auch ein gesunder erholsamer Schlaf ist essenziell für die Funktion von Immunsystem, Stoffwechsel und Hormonen sowie für die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden. Zu den wichtigsten Entspannungsmethoden im Sinne Kneipps zählen heute Atemtherapie, autogenes Training, Yoga und Tanztherapie. kg //

DER „WASSERDOKTOR“

Sebastian Kneipp wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Stephansried in Oberschwaben auf. Mithilfe von Unterstützern konnte er das Gymnasium besuchen und Theologie studieren. Im Augsburger Dom wurde er 1852 zum Priester geweiht. In den letzten Studienjahren erkrankte er an Tuberkulose, an der er beinahe gestorben wäre. Zufällig entdeckte er ein Buch über Wasserheilkunde. Kneipp begann wöchentlich zwei- bis dreimal in der eiskalten Donau zu baden, nahm zu Hause Bäder und Güsse und wurde wieder gesund. Von da an gehörten tägliche Wasseranwendungen zu seinem Leben. In den folgenden Jahren entwickelte er die Kneipp-Therapie. Die Erfolge seiner Heilkunde sprachen sich nach und nach herum. In dem späteren Kurbad Wörishofen, wo Kneipp als Pfarrer tätig war, kamen Tausende Gäste zum Kneippen sowie zahlreiche Ärzte zur Weiterbildung. Sogar der Papst ließ sich von ihm behandeln. Heute gehören die kneippschen Wasseranwendungen zu den bekanntesten Naturheilverfahren.

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