Urban Gardening: Wenn Großstadtgärten die Metropolen der Welt erobern

Sonnenblumen zwischen grauen Betonwänden, Salat und Kohl in Hochbeeten auf einem ungenutzten Platz mitten in der Stadt – das ist mittlerweile keine Seltenheit mehr. Gemeinschaftsgärten wachsen im wahrsten Sinne des Wortes vielerorts aus dem Boden, haben längst kein Öko-Image mehr und verschönern jedes Stadtbild.

Urban Gardening in Berlin Kreuzberg

Der Prinzessinengarten am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg lädt seit 2009 zum gemeinsamen Gärtnern ein und hat sich zu einem Vorzeigeprojekt der deutschen Urban-Gardening-Bewegung entwickelt. (Bild: Marco Clausen)

Abgaswolken umhüllen mich, während ich auf den grauen Asphalt vor mir blicke. Einmal noch biege ich ab – dann ist alles grün. Ich bin zu Besuch beim Urban-Gardening-Projekt in Mainz: Überall blüht und sprießt es, Bienen bringen summend den Nektar in die aufgestellten Bienenstöcke. Menschen unterschiedlichen Alters, Städter wie ich, knien an den Beeten und wühlen mit Begeisterung in der Erde.

Die rund 400 Quadratmeter große Fläche in einem Hinterhof in der Mainzer Neustadt wird von der Stadt zur Verfügung gestellt. Jeder ist hier herzlich willkommen und kann sich an der Arbeit auf den verschiedenen Beeten beteiligen. Gemeinschaftlich entscheiden die Stadtgärtner, was angepflanzt wird. Alles ist ehrenamtlich und kostenlos. „Als wir einmal einen neuen Spaten brauchten, hat ein begeisterter Anwohner der Gruppe einfach einen gespendet“, erzählt Matthias Ding vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Mainz-Stadt. „Das Projekt kommt bei den Leuten an!“

Was hat es nun auf sich mit dem Gärtnern in der Stadt?

Frau beim Urban Gardening

Mit Urban Gardening verschönern Menschen ihre Städte, schalten vom Alltag ab und leisten einen nachhaltigen Beitrag für die Umwelt.

Warum interessieren sich immer mehr Menschen für Urban Gardening? Matthias Ding erklärt mir, dass die wenigsten Stadtgärtner beim Mainzer Projekt „Gartenfeld“ mitmachen, um sich mit Gemüse, Obst oder Kräutern zu versorgen. Es geht ihnen vielmehr um die sozialen Kontakte, das Gemeinschaftsgefühl und natürlich den Lerneffekt. Wer weiß denn noch, was man wie, wo und wann am besten anpflanzt oder wie unglaublich groß eine Zucchini werden kann? Die Stadtgärten erfüllen vielen den Wunsch, ihre Heimat durch ein bisschen mehr Natur lebenswerter zu machen und Begegnungsorte zu schaffen. Sie möchten aktiv an der Gestaltung ihrer Stadt mitwirken. Das Ernten ist dann nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Oft veranstalten die Gartengemeinschaften Workshops zu Garten- und Umweltthemen und sorgen regelmäßig für ein kulturelles Programm auf dem Gelände. Und was genau hat jetzt die Umwelt davon? Organische Abfälle und Regenwasser landen nicht mehr ungenutzt im Müll oder in der Kanalisation. Stadtgärten bieten Insekten, Nagern und Vögeln einen Zufluchtsort und tragen so zum Erhalt der Biodiversität bei.

Seinen Ursprung hat das urbane Gärtnern im New York der 1970er-Jahre. Hier warfen politische Aktivisten Saatbomben in Hinterhöfe und auf Abrissgrundstücke, Müllhalden und Autowracks – das sogenannte Guerilla Gardening. Mit dieser Protestbewegung wollten die Aktivisten auf die vielen ungenutzten Flächen und verfallenen Gebäude in der Stadt aufmerksam machen. 2006 setzten sich die New Yorker für ein ungewöhnliches Projekt ein: den High Line Park. Eine Grünfläche auf der ehemaligen Hochbahntrasse im Westen Manhattans. In Deutschland fand die Bewegung ebenfalls Anklang. Verkehrs-inseln, Hausdächer und andere Brachflächen verwandelten sich in prachtvolle Beete und erfüllen ökologischen und künstlerischen Anspruch. Allein in Berlin gibt es über 200 Urban-Gardening-Projekte.

„Unter den vielen Projekten sind auch unkonventionelle Gärten, in denen Kästen oder sogar alte Badewannen bepflanzt werden“, erzählt Matthias Ding. Außerdem gibt es auch Modelle, bei denen die Teilnehmer sich einen Anteil an der Gesamt-fläche mieten können und dort ihre eigenen Pflanzen züchten.

Für die Wissenschaft ist Urban Gardening ebenfalls ein spannendes Thema. Es könnte eine Lösung für eventuelle Versorgungsprobleme in der Zukunft sein. 2050 werden rund 80 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Das heißt, dass immer mehr Nahrungsmittel weite Wege in die Stadt zurücklegen müssen. Das belastet die Umwelt und das Portemonnaie. Der aktuelle Weltagrarbericht 2013 kommt zu dem Ergebnis, dass die industrielle Landwirtschaft auf Dauer nicht in der Lage sein wird, eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten. Eine Wiederherstellung kleinbäuerlicher Strukturen könne auf lange Sicht Abhilfe schaffen. In Städten wie Havanna, Caracas, Singapur und in einigen Townships Südafrikas sorgen diese selbst oder durch Staat, NGOs oder private Projekte ins Leben gerufenen Kleingärten für die Nahrungsmittelversorgung und ein kleines Einkommen der Menschen. Peking beispielsweise baut über 50 Prozent des Gemüsebedarfs in der Stadt selbst an, in Havanna sind es sogar 90 Prozent.

Mittlerweile gibt es in fast jeder größeren Stadt in Deutschland mindestens einen Großstadtgarten. Informieren Sie sich doch einfach und finden Sie das passende Projekt in Ihrer Nähe. Sie werden sicherlich mit offenen Armen empfangen und außerdem: Man lernt nie aus! (ce)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

3 × fünf =