Die Urlaubsarbeiter

Arbeiten im Urlaub

Viele möchten in ihrem Urlaub nicht mehr nur entspannen und konsumieren, sondern etwas Sinnvolles tun. Der sogenannte „Voluntourismus“ (engl. volunteer = Freiwilliger) boomt weltweit. Drei freiwillige Urlaubsarbeiter haben uns von ihren Erlebnissen berichtet.

Arbeiten im Urlaub? Finden Sie verrückt? Tatsächlich liegt es im Trend, sich neben dem Beruf ehrenamtlich zu betätigen, sich auf Reisen in fernen Ländern für soziale Projekte zu engagieren oder auf einer Plantage Obst oder Gemüse zu ernten. Besonders beliebt: das sogenannte Wwoofing („World Wide Opportunities on Organic Farms“), für Kost und Logis auf ökologischen Bauernhöfen in aller Welt arbeiten. Von Oliven sammeln auf Mallorca über Pferde pflegen in Südafrika bis Gemüse anbauen in Schweden ist alles möglich! Auf Seite 39 können Sie nachlesen, wie Sie zum Voluntouristen werden.

Kiwis pflücken am anderen Ende der Welt

Barbara ist 25 und studiert mittlerweile Sonderpädagogik an einer Kölner Hochschule. Nach dem Abitur hatte sie sich zunächst für Umwelttechnik und Ressourcenmanagement mit Bauingenieurwesen eingeschrieben. Das passte irgendwie gar nicht. „Ich wusste nicht mehr weiter und wollte nur noch weg!“, erzählt sie von dem Moment, als sie beschloss, mit einer Freundin spontan nach Neuseeland zu fliegen. Die beiden organisierten sich ein Working-Holiday-Visum und das Abenteuer konnte beginnen. „Abgesehen davon, dass wir alle ‚Herr der Ringe‘-Teile geguckt haben, um uns auf die neue Umgebung einzustimmen, haben wir uns nicht wirklich informiert“, lacht sie. Zum Problem wurde das aber nicht, denn vor Ort bekamen sie viele Tipps von anderen Backpackern und registrierten sich erst einmal bei Help Exchange (www.-helpx.net). Mit einem dort erstellten Profil kann man sich auf Jobangebote wie Wwoofing oder Mitarbeit in Hostels bewerben. Für die Arbeit gibt es meist Kost und Logis.

Barbara und ihre Freundin suchten sich während ihres fünfmonatigen Aufenthalts unterschiedliche Stellen, die grob auf ihrer Reiseroute lagen. Auf der Südinsel am Cape Farewell auf einem kleinen Campingplatz putzten sie eine Woche lang täglich ein paar Stunden und erkundeten am freien Nachmittag die traumhafte Umgebung. In Greymouth hielten sie in Neptune’s Backpackers die Hostelzimmer sauber und buken einmal am Tag Scones für die versammelte Mannschaft. „Durch die täglich neuen Backpacker haben wir superviele tolle Menschen kennengelernt“, erzählt Barbara. Dann zogen die beiden weiter und arbeiteten am Fox Glacier ebenfalls in einem Hostel. Dort durften sie sich bereits nach nur drei Stunden morgendlicher Arbeit die hosteleigenen Räder schnappen. „Mit den Rädern die beeindruckende Gletscherregion zu erkunden war einfach wahnsinnig schön“, schwärmt Barbara noch heute. Ihr Highlight aber war die Arbeit auf einer kleinen Farm in der Nähe von Akaroa auf der Südinsel. „Eine Woche lang trieben wir mit Quads oder zu Fuß die Kühe über die Felder, ernteten Kartoffeln, Karotten und Erbsen und kochten jeden Abend mit dem selbst geernteten Gemüse und farmeigenen Fleisch die köstlichsten Speisen.“ Eines Morgens fragte der Farmer die beiden, ob sie nicht Lust hätten, die Strohernte zu machen. Sie sagten zu. Erst dann stellte sich heraus, dass sie dabei mit zwei riesigen Treckern alleine das Feld räumen sollten. „So lernten wir also auch das Treckerfahren – samt Zehn-Meter-Anhänger, auf den circa zwölf riesige Strohballen gestapelt wurden!“

Nach vier Monaten auf Reisen ging den beiden Freundinnen das Geld aus und sie nahmen einen der klassischen „Picking-Jobs“ (Obsternte) an. Für solche Tätigkeiten ist die Golden Bay der Nordinsel optimal. Zwei Wochen lang pflückten sie Zitronen und ernteten Kiwis. Keine leichte Arbeit, denn die riesigen Zitronenbäume haben lange, spitze Dornen – ganz anders als ihr hiesiges Ziergartenpendant. Auch eine Überraschung: Der größte Teil der geernteten Zitronen entspricht wegen Größe, Sprenkel oder lustiger Auswüchse nicht der Verkaufsnorm und wandert in den Müll. „Seit diesem Erlebnis suche ich im Supermarkt ganz bewusst immer die Zitronen aus, die kein anderer kaufen würde, obwohl sie genauso schmecken wie die makellosen.“

An die Kiwi-Ernte erinnert Barbara sich weniger gern: Als Erntehelfer mit einer Größe von über 1,65 Metern muss man sich gebückt mit einem schweren Korb vor der Brust unter den Netzen hindurchschlängeln, bekommt den Pelzbewuchs der Früchte in die Augen. Außerdem wurde von den Helfern verlangt, mehrere hundert Kilo pro Stunde zu pflücken – stets mit wachsamen Angestellten im Rücken, die zum Arbeiten antrieben. „Das muss natürlich nicht auf jeder Kiwi-Plantage der Fall sein, ist aber das, was wir auch von anderen Backpackern gehört haben“, sagt Barbara. Trotzdem möchte sie diese Erfahrung nicht missen. Sie ist überall interessanten Menschen begegnet und auch die unterschiedlichen Jobs haben sie bereichert. Barbaras Fazit: „Eine tolle Erfahrung, die mich nachhaltig geprägt hat, meinen Horizont erweitert und mich selbstständiger gemacht hat. Das wird mir mein Leben lang in positiver Erinnerung bleiben!“

Eine Woche unter Jugendlichen

Für den 34-jährigen Daniel war schon lange klar, dass er sich ehrenamtlich engagieren wollte. Doch wie das Leben so spielt, kam immer irgendetwas dazwischen. Sein Job als Unternehmensberater forderte ihn im Alltag stark. Doch im Sommer 2014 brachte ihn die Frage eines Freundes, der sich bei der Berliner Organisation „Kinder in die Mitte“ engagiert, dazu, sich den entscheidenden Ruck zu geben. Spontan sagte Daniel Ja, als dieser ihn ansprach, ob er sich vorstellen könne, eine Gruppe Jugendliche aus finanziell schwächeren Familien während einer Campingfreizeit zu betreuen. Das Projekt der Evangelisch-methodistischen Kirche in Berlin-Mitte bietet neben der jährlichen Sommerfreizeit, die Daniel begleitet hat, insbesondere Themennachmittage, Spielen, Mahlzeiten und Hausaufgabenbetreuung an (www.kim-berlin.de).

Daniel erinnert sich immer noch gern an die Woche mit „seinen“ Kids: „Die größte Gaudi für die Kinder war der Ausflug mit dem Motor-Schlauchboot auf der Ostsee – der Motor war total überfordert, knatterte wie ein kaputter Auspuff und brachte uns nur im Schneckentempo voran.“ Ein weiterer Programmpunkt, der Daniel und seine Gruppe damals herausforderte, war ein Segelausflug. Denn dafür musste so einiges koordiniert werden: Segel setzen, Ruder halten, das Paddeln bei Windstille – und über Bord durfte schließlich auch niemand gehen.

Der Höhepunkt der gemeinschaftlichen Woche war ein Karaoke-Abend à la Mini-Playback-Show. Alle Betreuer bereiteten mit ihrer jeweiligen Gruppe eine Performance vor. „Ich war ehrlich gesagt ziemlich nervös, ob das alles gut läuft. Aber trotz oder gerade wegen einiger Last-Minute-Dramen vor den großen Auftritten wurde es ein Spitzen-Abend“, erzählt Daniel lachend. Die Woche voll gemeinsamer Unternehmungen und Erlebnisse hat alle zusammengeschweißt und schöne Erinnerungen entstehen lassen. Für Daniel war die Freizeitbetreuung eine große Bereicherung. Seine Augen leuchten noch heute, während er erzählt. „Ich würde das auf jeden Fall wieder machen!“ Augenzwinkernd fügt er hinzu: „Ich würde aber empfehlen, danach eine Woche Urlaub zur Erholung vom Urlaub einzulegen!“

Die Tacoma-Community

Annette*, 38, Akademische Mitarbeiterin an einer Universität, verbringt jeden Sommer ihren gesamten Jahresurlaub in Tacoma im US-Staat Washington, um Menschen mit Behinderung zu betreuen. Die Community in Tacoma gehört zur internationalen Organisation Arche, die Lebens-gemeinschaften für Menschen
mit und ohne geistige Behinderungen unterhält (www.larche.org). Seit ihrem freiwilligen sozialen Jahr nach dem Abitur kehrt Annette jedes Jahr dorthin zurück.

Die Community besteht aus vier Häusern, in denen je zwischen drei und fünf „core members“ (Behinderte) mit idealerweise genauso vielen Assistants leben. Annette hilft den Menschen bei der Morgenhygiene und beim Ankleiden, sie macht Frühstück und kocht gemeinsam mit ihren Schützlingen. Sie begleitet sie auf Ausflüge und zu Arztterminen. Dafür hat sie in ihrem ersten Jahr etliche Trainings wie zum Beispiel Erste Hilfe absolviert, um rechtlich abgesichert zu sein.

Von Beginn an haben die Mitglieder der Tacoma-Community Annette mit offenen Armen empfangen, nach und nach entstanden enge Freundschaften, obwohl mit den Core Members manchmal keine verbale Kommunikation möglich ist. „Die Beziehung wird auf das eigentlich Wichtige reduziert, auf den Menschen, ohne jede Voreingenommenheit und ohne Vorurteil. Es ist schon ein schönes Gefühl, wenn du vermisst, geliebt, willkommen bist, einfach nur weil du du und ein Freund bist“, erklärt Annette. „Okay, und vielleicht weil ich jeden Sommer Schokolade mitbringe“, fügt sie lachend hinzu.

Als sie zum ersten Mal wiederkam – das war bereits nach sieben Monaten, in ihren ersten Semesterferien –, begrüßte sie einer der Core Members mit: „Wo wirst du schlafen? In deinem Zimmer ist eine neue Person!“ Diese Begrüßung berührte sie sehr, denn sie war sich damals nicht sicher, ob man sie überhaupt wiedererkennen würde.

„Die Erfahrung verändert das Leben, wenn man es für eine Weile machen kann. Wenn man noch keine Beziehung aufgebaut hat, sind ein paar Wochen vermutlich zu wenig, um richtig reinzukommen. Da könnte man wohl nur durch Beobachten eine Vorstellung davon kriegen, was die Beziehungen bedeuten, wie eng die Vertrauensverhältnisse sind. Um selbst eine richtige Beziehung aufzubauen, braucht man in aller Regel eher länger, wie sonst ja auch.“ Annette hat diesen Sommer ihr 20-jähriges Jubiläum.

Anbieter und Möglichkeiten im In- und Ausland

Gut zu wissen

  • Für außereuropäische Länder ist ein Working-Holiday-Visum nötig, EU-Bürger dürfen in jedem Land der EU arbeiten. www.working-holiday-visum.de
  • Work-and-Travel-Programme sind meist nur im Alter von 18 bis 30 Jahren möglich, in Kanada bis 35.
  • Recherchieren Sie im Vorfeld gründlich, welche Art der Freiwilligentätigkeit ethisch vertretbar ist (z. B. nicht Einheimischen Arbeit wegnimmt) und ob die Organisation seriös ist.
  • Der Arbeitgeber in Deutschland darf eine Nebentätigkeit untersagen, wenn sie dem Ruf des Unternehmens schadet oder dem betrieblichen Interesse entgegensteht. Einschreiten darf er auch, wenn der Freiwillige durch sein Engagement zu müde für seine eigentliche Arbeit ist.
  • Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass freiwillige Arbeit dabei hilft, Stress zu bewältigen. Außerdem hat eine Studie ergeben, dass gut situierte Menschen durch sie ihr Gewissen beruhigen, der Gesellschaft also etwas zurückgeben wollen von ihrem Glück.

Tipp:

Bei der Weinlese helfen

„Im September und Oktober ist Weinlesezeit, die schönste Zeit in der Pfalz. Es ist ein besonderes Erlebnis, den Entstehungsprozess eines guten Weines mitzuerleben: von der Lese über die Verarbeitung – die auch viel mit Putzen zu tun hat! – bis zur Verkostung eines edlen Tropfens. Schnuppern Sie mal bei uns rein!“

Timo Leiner vom Weingut Rebenhof Leiner in Ilbesheim in der Pfalz
www.rebenhof-leiner.de

 

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