Hashimoto – Die heimliche Macht im Hals

Auch nach der Diagnose von Hashimoto ist mit der richtigen Therapie eine Schwangerschaft möglich.Für einen unerfüllten Kinderwunsch kann vieles verantwortlich sein. Die wenigsten Betroffenen kommen jedoch auf die Idee, dass ihre Schilddrüse damit zu tun haben könnte.

Wenn Frauen ins Heidelberger Kinderwunschzentrum kommen, können Zyklusstörungen der konkrete Anlass dafür sein oder auch Probleme mit dem Eisprung. Fast immer jedenfalls haben sie schon eine ganze Zeitlang vergeblich versucht, schwanger zu werden – die einen monate-, die anderen jahrelang. Eine Blutprobe ihrer Patientinnen ins Labor zu schicken, ist das Erste, was die Gynäkologin Christina Thöne dann unternimmt. Aber anders, als man vielleicht meinen könnte, sind es nicht allein die Werte der weiblichen und männlichen Geschlechtshormone, denen ihr Augenmerk gilt. Die Ärztin interessiert sich ebenso sehr dafür, was das Blutbild über die Schilddrüse verrät. So viel auch in den Köpfen der Frauen vorgegangen sein mag, bis sie die Sprechstunde in der Gemeinschaftspraxis aufsuchen – an das kleine schmetterlingsförmige Organ im Hals haben die meisten von ihnen bis dahin nicht gedacht. Zumindest dann nicht, wenn sie bei guter Gesundheit sind und Schilddrüsenprobleme bisher kein Thema für sie waren. Und dennoch: „Bei Kinderwunsch-Patientinnen wird die Schilddrüse immer untersucht“, erklärt die Ärztin, „denn sie ist extrem wichtig, um schwanger zu werden und schwanger zu bleiben.“ Entsprechend häufig stellt sich bei der Blutuntersuchung heraus, dass mit der Drüse im Hals etwas nicht richtig läuft: Bei jeder dritten oder vierten Frau, die schwanger werden will und deshalb bei ihr in Behandlung ist, steckt eine Unterfunktion der Schilddrüse dahinter, schätzt Christina Thöne.
Statistiken zeigen: Frauen mit Unterfunktion haben öfter Probleme, schwanger zu werden, und sie erleiden häufiger Fehlgeburten. Eine Unterfunktion kann verschiedene Ursachen haben. Häufig allerdings geht aus der Analyse mehrerer Blutwerte und der Ultraschall-Untersuchung hervor, dass eine Hashimoto-Thyreoiditis daran schuld ist, eine unheilbare Autoimmunerkrankung, die ein japanischer Arzt 1912 als Erster beschrieb.

Was bei Hashimoto passiert, erklären Mediziner so: Das Immunsystem greift irrtümlicherweise die gesunde Schilddrüse an. Sie produziert im Normalfall Stoffe namens T3 und T4, Hormone also, die unter anderem für den Stoffwechsel wichtig sind und auch die Psyche beeinflussen. Nun aber entzündet sich das Organ und wird allmählich zerstört, die Hormonproduktion bleibt auf der Strecke. Über kurz oder lang führt die Krankheit zur Unterfunktion. Die Liste der Beschwerden ist lang, sie reicht von Gewichtzunahme über Antriebsarmut bis zu Depressionen. In ihrer Praxis begegnet Dr. med. Christina Thöne Frauen mit einem ausgeprägten Krankheitsbild selten. Viel öfter erlebt sie, dass Betroffene nur eine leichte Unterfunktion haben. Diese Patientinnen plagt kein gesundheitliches Leiden. „Aber was zum Wohlfühlen ausreicht, reicht nicht unbedingt, um schwanger zu werden“, sagt die Ärztin.

Um die Behandlung verständlich zu machen, lässt sich ein kleiner Exkurs nicht vermeiden. Er führt über den menschlichen Kopf. Denn wenn die Schilddrüse nicht genügend Hormone freisetzt, wird das vom Gehirn registriert. Die Hirnanhangdrüse schüttet dann immer mehr TSH aus, einen Botenstoff, der die Schilddrüse anregen soll, mehr Hormone zu produzieren – was aber nicht gelingt. Je höher der TSH-Wert im Blut, desto ausgeprägter die Unterfunktion. Doch selbst wenn die Werte im Normalbereich und somit weit unterhalb der Schwelle für eine ärztliche Diagnose liegen, kommt es vor, dass sich keine Schwangerschaft einstellen will. Nun kommen die Ärzte ins Spiel, die den TSH-Wert senken. Es gibt unterschiedliche Ansichten, welcher Wert dann ideal ist; Christina Thöne hat die Erfahrung gemacht, dass er vor der Schwangerschaft im besten Fall zwischen 0,5 und 1 liegt, ein Liter Blut also eine halbe bis eine Milli-Einheit TSH enthält. Um das zu erreichen, verschreiben Ärzte Medikamente mit Thyroxin, einem künstlichen Schilddrüsenhormon. „Wenn die Schilddrüsen der Frauen richtig eingestellt und sie ansonsten gesund sind, dauert es oft nur zwei oder drei Zyklen, bis sie schwanger werden“, berichtet Thöne. Während der Schwangerschaft sollten sie den TSH-Wert alle sechs Wochen überprüfen lassen, lautet ihr Rat – wenngleich das Risiko einer Fehlgeburt auch bei richtig eingestellten Frauen mit Hashimoto noch immer leicht erhöht sei. Meistens gehe jedoch alles gut, berichtet die Ärztin. Dass der Kinderwunsch ihrer Patientinnen in Erfüllung geht, ist oft nur eine Frage der Zeit. jl //

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