Problemfall Darm, reine Nervensache

Viele Menschen sind organisch völlig gesund, leiden aber unter Bauchschmerzen, Durchfall oder Blähungen. Die besten Strategien für Reizdarm-Patienten.

Es ist nur ein schwacher Trost für Betroffene, wenn der Arzt ihnen sagt, dass sie mit dieser Erkrankung im Durchschnitt länger leben als Gesunde. Denn wer monate- oder gar jahrelang Tag für Tag von Bauchkrämpfen, Durchfall und Blähungen gequält wird, dem mag diese statistische Tatsache wie blanker Hohn vorkommen. Die Rede ist vom Reizdarm-Syndrom. Es ist eine Erkrankung, die eigentlich keine ist, denn organisch sind die Patienten gesund. Wären da nicht diese manchmal schier unerträglichen Schmerzen und Beschwerden, die bei jedem Betroffenen unterschiedlich ausgeprägt sind.

Mediziner unterscheiden vier Typen, die jeweils durch das überwiegende Symptom gekennzeichnet sind. Die übrigen Magen- Darm-Beschwerden treten ebenfalls auf, aber individuell verschieden stark. Es gibt den blähungsbetonten Reizdarm, bei dem quälende Ansammlungen von Darmgasen das Hauptproblem sind, den diarrhö- (Durchfall), den verstopfungs- und den schmerzbetonten Reizdarm. Beim Reizmagen-Syndrom sind die Beschwerden etwas charakteristischer: So klagen Betroffene häufig über ein vorzeitiges Sättigungsgefühl und ein Aufgeblähtsein, das unangenehm und schmerzhaft sein kann. Möglich sind auch Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen im Oberbauch und saures Aufstoßen. „Zu alledem kommt eine erhöhte psychische Anspannung, die das Leiden oft verschlimmert“, berichtet die Münchner Psychotherapeutin Dr. Agnes Kaiser-Rekkas. Viele Patienten entwickeln eine starke Angst, aus dem Haus zu gehen, weil sie nicht wissen, ob sie unterwegs im Fall des Falles noch rechtzeitig eine Toilette erreichen.

Schuld ist das Hirn im Bauch
Als Schlüsselpunkt der Reizdarm-Problematik gilt das enterische Nervensystem. Dabei handelt es sich um ein dichtes Geflecht von Nervenbahnen, die den Magen-Darm-Trakt umgeben. Weil es größtenteils unabhängig vom Gehirn mit seinen Signalen die Darmtätigkeit koordiniert, wird es häufig auch als „Bauchhirn“ oder „Darmhirn“ bezeichnet. „Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen können wir davon ausgehen, dass funktionelle Magen-Darm- Beschwerden von einer Überempfindlichkeit des enterischen Nervensystems herrühren“, erklärt Prof. Hans-Dieter Allescher, Reizdarm-Experte am Klinikum Garmisch- Partenkirchen. „Das bedeutet, der Patient empfindet bereits die ganz normalen Vorgänge im Magen-Darm-Trakt als unangenehm bis schmerzhaft. Wenn dann Störungen der normalen Funktion hinzu kommen, wie zum Beispiel Blähungen, Krämpfe oder zu viel Magensäure, wird das nicht nur als unangenehm, sondern als quälend bis unerträglich empfunden.“

Dass das Bauchhirn eine solche Überempfindlichkeit entwickelt, dafür scheint es mehrere Ursachen zu geben, die die Mediziner aber noch nicht im Detail kennen. Neben einer genetischen Veranlagung diskutieren die Reizdarm-Forscher auch Entzündungen im Magen-Darm-Trakt als Auslöser. Im Gegensatz zur eigentlichen Entzündung scheint die gesteigerte Schmerzempfindung, etwa nach einer „Darmgrippe“, nicht mehr abzuklingen. Auch extreme psychische Erlebnisse, wie sie beispielsweise Folter- oder Vergewaltigungsopfer erleiden müssen, sowie prägende Erlebnisse in der frühkindlichen Entwicklung gelten als mögliche Ursachen. Beim Reizdarm- Syndrom handelt es sich jedenfalls um eine Ausschlussdiagnose. Das bedeutet: Zunächst müssen alle anderen organischen Erkrankungen ausgeschlossen werden, die ein ähnliches Beschwerdebild hervorrufen können.

Gesund und trotzdem krank
Weil aber keine mit den üblichen Methoden fassbaren organischen Ursachen vorhanden sind, ist die Behandlung des Reizdarms besonders schwierig. In leichten Fällen können häufig schon Entspannungsübungen und regelmäßige Bewegung zu einer Besserung der Beschwerden führen. Doch in den meisten Fällen bewirken solche einfachen Maßnahmen nicht viel. Untersuchungen haben ergeben, dass Pfefferminzöl eine positive Wirkung auf das Geschehen beim Reizdarm zeigen kann. Ein neuartiges Kapselpräparat aus der Apotheke transportiert das hoch dosierte Öl unbeschadet bis in den Dünndarm, wo es schließlich seine wohltuenden Effekte entfalten kann. Gute Wirksamkeit zeigen auch Präparate mit Kümmelöl oder Schleifenblume.

Neue Wirkstoffe wie Alosetron, Cilansetron oder Tegaserod nutzen einen weiteren Mechanismus, um die Beschwerden zu stoppen: Sie greifen in den Serotonin- Haushalt ein und beeinflussen so die Darmbewegungen. Professor Allescher ist in dieser Hinsicht optimistisch: „Die bisherigen Daten zeigen, dass die neuen Substanzen gut wirken, wenn sie passend zum Beschwerdebild eingesetzt werden. Ansonsten dominieren allerdings die Nebenwirkungen. Daher sollten sie von einem Therapeuten verordnet werden, der sich gut mit diesen Präparaten auskennt.“ Bislang sind die neuen Wirkstoffe in Europa jedoch noch nicht zugelassen.

Viele Betroffene, die während einer langen Leidensperiode schon alles probiert haben, erhoffen sich von Dr. Agnes Kaiser- Rekkas Hilfe. Die Psychotherapeutin setzt bei Reizdarm-Patienten gezielt die Hypnose als Behandlungsmittel ein. Der Erfolg scheint ihr ebenso Recht zu geben wie eine neue Untersuchung an der britischen Universität Manchester: Sie bescheinigte der Hypnose beim Reizdarm-Syndrom in vielen Fällen eine gute Wirksamkeit.

Beschwerden erst genau abklären
Auf eine symptomatische Behandlung der einzelnen Beschwerden wird aber kaum ein Reizdarm-Patient verzichten können. Um zuerst mögliche organische Ursachen auszuschließen, macht der Arzt neben einer ausführlichen Blutuntersuchung auch eine Magen- und Darmspiegelung. Je nach Beschwerdebild sind unter Umständen noch weitere Untersuchungen notwendig, um die eindeutige Diagnose Reizdarm stellen zu können. Es gibt eine ganze Reihe von Symptomen, die besonders ernst genommen werden müssen. Wer Schluckstörungen, starke Gewichtsabnahme, Erbrechen oder Fieber hat, sollte umgehend den Arzt aufsuchen. Das gilt auch dann, wenn Erbrochenes oder Stuhl mit Blut vermischt sind. Auch ein Wechsel zwischen Verstopfung und Durchfall kann auf eine ernstere Grunderkrankung hinweisen. Darmexperte Allescher ergänzt: „Weil die funktionellen Beschwerden in der Nacht meistens schwächer oder auch gar nicht auftreten, sind nächtliche Probleme ein Alarmsymptom, das auf eine organische Ursache hinweist.“ Ist die Diagnose Reizdarm aber erst einmal gestellt, lassen sich die Beschwerden häufig mit Medikamenten bessern.

Vielen Patienten hilft auch der persönliche Kontakt zu anderen Betroffenen, um sich gegenseitig mit Rat und Tat zur Seite zu stehen sowie über mögliche Therapien und neue Forschungsergebnisse auszutauschen. Ein bundesweiter Zusammenschluss von Patienten sowie Ärzten und Fachleuten ist die

Deutsche Reizdarmselbsthilfe e.V.
www.reizdarmselbsthilfe.de

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