Wetterfühligkeit – macht das Wetter krank?

Rund die Hälfte der Deutschen reagiert empfindlich auf Wetter-Umschwünge. In unserer zweiteiligen Serie erfahren Sie wie Hochs und Tiefs wirken und was gegen Beschwerden hilft.

Mehr Verkehrsunfälle bei Föhn? Kopfschmerzen oder Gliederschmerzen bei einem Wetterumschwung? Wenn es uns schlecht geht, wir unkonzentriert und nervös sind, unter Kopfweh und Abgeschlagenheit leiden, schieben wir das gern auf das Wetter. Doch kann es wirklich schuld an unseren Missempfindungen und Beschwerden sein? Ja, aber nicht immer so, wie wir vermuten, sagen neueste Forschungsergebnisse. Wie können wir unangenehme Symptome und Schmerzen lindern oder sie sogar ganz zum Verschwinden bringen?

Rund 50 Prozent aller Bundesbürger gaben in einer aktuellen Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach an, dass sie mehr oder weniger wetterfühlig sind. Betroffene klagten über Erschöpfung, Schlafstörungen und schmerzende Operationsnarben. Sie waren oft niedergeschlagen und konnten sich bei der Arbeit nicht konzentrieren.

Frauen und ältere Menschen leiden häufiger

Je älter die Befragten, desto wetterfühliger sind sie. Gelenkverschleiß, hoher Blutdruck oder Herz-Kreislauf-Probleme – alles Krankheiten, die im Alter häufiger auftreten – machen den Körper für Wetterumschwünge offenbar empfänglicher. Frauen spüren diese mehr als Männer. Wer im Norden lebt, scheint öfter davon betroffen zu sein. „Denn dort sind Wetterwechsel häufiger und kontrastreicher als etwa in Süddeutschland“, erklärt Dr. Klaus Bucher vom Deutschen Wetterdienst in Freiburg dieses Phänomen. Hinzu kommt das Reizklima der Küstengegenden.

Der Wetterwechsel macht zu schaffen

Es ist dieser Übergang zwischen zwei Wetterfronten, der den Menschen so zu schaffen macht. Etwa wenn ein herannahendes Tief mit Warmluft das herrschende Hoch ablöst: Dann fällt der Luftdruck, die Temperaturen steigen, und die Luftfeuchtigkeit nimmt zu. Der Wind dreht sich, meist auf Süd. Weil Wolken aufziehen, verändert sich auch die Sonnenstrahlung. Dieses Tiefdruckwetter mit Warmfront macht insbesondere Menschen mit niedrigem Blutdruck zu schaffen: Sie fühlen sich müde und abgeschlagen, leiden unter Schwindelanfällen und Mattigkeit. Auch Personen mit entzündlichem Rheuma sowie chronisch an den Atemwegen Erkrankte können bei Tiefdruckwetter verstärkt Probleme haben.

Tief im Anzug: Das lässt die Knochen schmerzen
Naht eine Kaltfront, bei der die Temperaturen sinken, der Luftdruck wieder ansteigt und es häufig regnet, bekommen eher Menschen mit hohem Blutdruck Schwierigkeiten. Denn die Gefäße verengen sich, und der Blutdruck kann dann zusätzlich in die Höhe klettern. Und wer unter Gelenkverschleiß, also Arthrose, leidet, spürt jetzt oft seine schmerzenden Knochen. „Da gibt es statistische Anhäufungen. Doch wir können kaum sagen, wo die ursächlichen Zusammenhänge liegen“, sagt Medizin-Meteorologe Dr. Bucher. Denn viele der Untersuchungen stützen sich auf persönliche Befragungen. Doch es gibt Analysen, die eindeutig einen Zusammenhang (Statistiker sprechen von Korrelation) zwischen Wetterfühligkeit und etwa den verschiedenen Wetterklassen herstellen konnten.

Was verbindet Luftdruck und Polizei-Einsätze?

Spannend sind deshalb neue Daten der Diplom- Meteorologin Eva Wanka vom Institut und Poliklinik für Arbeits- und Umweltmedizin der Ludwig- Maximilians-Universität in München. Viel Kleinarbeit gehörte dazu, bis die Wissenschaftlerin in ihrer Studie verschiedene Zusammenhänge belegen konnte, beispielsweise von Verkehrs- und Arbeitsunfällen, von Herzinfarkt, Selbstmorden und Gewalttaten mit bestimmten Wetterlagen. Für diese Untersuchungen verwendete sie die täglichen Einsatzdaten und Aufzeichnungen der Münchner Polizei und Feuerwehr von April 2002 bis Ende März 2003. Im Büro des Instituts maß ein Mikrobarometer im Sekundentakt jede noch so kleine Luftdruckänderung. Die daraus resultierenden Ergebnisse überraschen.

Verbflüffend: Weniger Unfälle bei Föhn…

So nehmen zum Beispiel viele Bewohner des Voralpenlands an, dass der Föhn, ein warmer Fallwind, der niederfrequente Luftdruck- Schwankungen hervorruft, ihnen den Kopf verdreht. Die einen scheinen beim Anblick des tiefblauen Himmels und der grandiosen Fernsicht von purer Lebensfreude gepackt. Den anderen brummt heftig der Schädel, und Müdigkeit senkt sich bleiern ins Hirn. Autofahren scheint an diesen Tagen wirklich gefährlich. Diese Vermutung konnte Meteorologin Wanka nicht bestätigen: „Die größte Sensation für uns war, dass in den von uns untersuchten zwölf Monaten bei Föhn sogar weniger Unfälle passierten.“ So verzeichnete die Polizei in München im Durchschnitt 130 Karambolagen pro Tag. Wehte der Südwind, krachte es „nur“ knapp 120 Mal. Die Zahl der Rettungseinsätze, bei denen Drogen oder Alkohol eine Rolle spielen, sank bei Föhn um ein Drittel.

…aber mehr Selbstmorde

Allerdings wirkt sich der rebellische Wind nicht nur positiv auf die Psyche aus: Im Mittel wuchs die Zahl der Selbstmordversuche und auch der Einlieferungen in psychiatrische Krankenhäuser während des Föhns um 20 Prozent. „Doch auch, wenn der Luftdruck nachmittags innerhalb von einer Stunde rasch steigt, versuchen sich mehr Menschen das Leben zu nehmen“, berichtet Wanka.

Gewalttaten nehmen zu bei Hitze

Mit diesem Wissen werden wir in Zukunft ebenso die heißen Tage fürchten: Um gut 17 Prozent nahmen da die Unfälle im Straßenverkehr zu. Diese häuften sich bei hohen Temperaturen auch in Betrieben, Haushalten und auf dem Weg zur Schule, im Durchschnitt um 27 Prozent. Gewalttätigkeiten wie Übergriffe, Messer- Stechereien und Vergewaltigungen schnellten ebenfalls in die Höhe. „Wir fanden heraus, dass an heißen Tagen die Zahl der Gewaltdelikte im Schnitt um 75 Prozent zunahm“, stellte die Expertin fest.

Tagebücher zeigen: Jeder Mensch reagiert individuell

Parallel zur Auswertung der Daten ließ die Wissenschaftlerin in derselben Zeit wetterfühlige Testpersonen ein halbes Jahr lang Tagebuch führen. Diese Aufzeichnungen wurden gleichfalls mit den vorhandenen Wetterdaten verglichen. Dabei fand Wanka eindeutige Zusammenhänge zwischen Luftdruckschwankungen und dem Auftreten von Beschwerden bei einzelnen Personen. „Die Auswertung hat unsere Vermutung gestützt, dass sogar feinste Luftdruckschwankungen Wetterfühligkeit auslösen können“, sagt sie. Allerdings stellte die Expertin auch fest, dass die Menschen doch sehr individuell auf das Wetter reagieren. So litten manche Testpersonen beim Herannahen einer Warmfront unter heftigen Kopfschmerzen, andere dagegen, wenn sich die Kaltfront ankündigte.

Komplizierte Größe: Die gefühlte Temperatur

Ein weiterer Faktor ist die gefühlte Temperatur, die wir tatsächlich wahrnehmen. „Sie unterscheidet sich in hohem Maße von der physikalischen Temperatur, die draußen im Schatten bei Windstille gemessen wird“, erklärt Dr. Bucher. Zehn Grad Celsius bei eisigem Wind lassen uns frieren. Dieselbe Temperatur bei Windstille und Sonnenschein erweckt eher das Gefühl von angenehmer Frische. Deshalb berechnen die Meteorologen sämtliche thermischen Einflüsse auf den menschlichen Organismus mit einer Art Wärmehaushalts- Modell, wie die Wetterkundler es nennen. Diese errechneten Größen fließen in die Biowetter- Vorhersagen ein.

Vorsicht: Nicht immer ist das Wetter schuld

Wer glaubt, dass das Wetter an Leistungsknick, Zittrigkeit oder Nervosität schuld ist, sollte dennoch sicher heitshalber einen Arzt aufsuchen, rät Dr. Heinz Leuchtgens. „Denn hinter den genannten Symptomen kann sich beispielsweise eine Krankheit wie Typ- 2-Diabetes oder ein Problem mit der Schilddrüse verbergen“, erklärt der Arzt für Naturheilverfahren, Balneologie und medizinische Klimatologie aus Bad Wörishofen. Sind organische Ursachen ausgeschlossen, sollte der Betroffene seinen Körper so trainieren, dass er besser mit belastenden Wetterumschwüngen zurechtkommt.

Apotheken Umschau

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

5 × eins =