Faszination Bindegewebe

Mit den bunten Rollen können Sie eigenständig schmerzende Faszien- und Muskelpartien massieren.Das Image eines leblosen Füll- und Stützgewebes haben sie hinter sich gelassen. Mittlerweile gelten sie als unentbehrliches Sinnesorgan: unsere Faszien. Das Bindegewebe unseres Körpers erlebt gerade eine Renaissance. Wie Faszien unsere Gesundheit und wir unsere Faszien beeinflussen können.

Körpertherapeuten, Bewegungstrainer und Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche entdecken das Gewebe, das früher von Anatomen lediglich als Füllmaterial betrachtet wurde, gerade neu. Seit moderne Ultraschall-Methoden es ermöglichen, die Faszien – also das menschliche kollagene Bindegewebsnetzwerk – genauer zu untersuchen, diskutieren Wissenschaftler sogar ihre ursächliche Rolle bei der Entstehung der Volkskrankheit Rückenschmerz. Wo man früher Bandscheiben und Wirbelkörper in Verdacht hatte, sind heute Verletzungen, Verklebungen und Verhärtungen des Bindegewebes ins Blickfeld gerückt. Auch beim sogenannten Muskelkater muss die Trainingsliteratur womöglich neu geschrieben werden, denn auch hier ist weniger das Muskelgewebe, sondern die Faszien, die den Muskel umhüllen, betroffen. Zukünftig darf man daher wohl eher von Faszien- als von Muskelkater sprechen.

Faszien kann man trainieren
Faszien können aber nicht nur verfilzen, verkleben, verhärten und unserem Bewegungsapparat dadurch Probleme bereiten; sie können auch trainiert werden. Ein Faszientraining ergänzt das klassische Muskeltraining, denn es sorgt dafür, dass unsere Muskulatur effizienter arbeiten kann und besser vor Verletzungen geschützt ist. Für Sportler ist neben dieser Verletzungsprophylaxe sicherlich auch interessant, dass ein intaktes Bindegewebe die Regeneration nach Trainingseinheiten verkürzt und auch die Leistungsfähigkeit steigert. Bei uns allen wirkt sich ein guter Zustand der Faszien positiv aus: Er verbessert Bewegungsabläufe sowie Koordination, Körperhaltung und Körperform. Dabei ist Faszientraining erstaunlich unaufwendig. Der Körpertherapeut und Faszienforscher Dr. Robert Schleip gibt in seinem Buch über Faszienfitness die Empfehlung: „Zehn Minuten zweimal in der Woche reichen völlig aus.“
Die wohl bekannteste Form des Faszientrainings ist die sogenannte Self Myofascial Release (SMR), die „selbst durchgeführte Muskelfaszien-Entspannung“. Hierbei bearbeiten Sie in Eigenregie meist mit Schaumstoffrollen und -bällen in verschiedenen Härtegraden Ihr Muskel- und Fasziengewebe. Doch auch schon mit ein oder zwei Tennisbällen lassen sich am Anfang einige Übungen ausprobieren. Der Effekt ist meist schnell spürbar und das Training leicht umzusetzen. Deshalb ist diese Form des Trainings sowohl bei Sportlern als auch bei Schmerzpatienten sehr beliebt.

Faszientraining mit Ball oder Rolle
Bei der SMR wird der Trainierende zum eigenen Therapeuten, der mit dem schmerzenden Körperteil auf dem zylinderförmigen Trainingsgerät liegt. Laut Schleip sollte sich dabei „ein Wohlwehgefühl, also ein angenehmer Druck, wie man ihn vielleicht von Massagen her kennt, einstellen, ein scharfer Schmerz jedoch nicht“. Je nach Körperregion und dem Zustand des eigenen Fasziensystems kann diese Selbstmassage zu Beginn eine schmerzhafte Herausforderung sein. „Nach wenigen Atemzügen sollte sich jedoch ein belebendes Lösungsgefühl im Gewebe breitmachen“, sagt Schleip, der auch Leiter des Fascia Research Project an der Universität Ulm ist. Ist das nicht der Fall, hat man womöglich zu intensiv gearbeitet oder den falschen Härtegrad der Rolle gewählt. Bestenfalls dürfen Sie in einem guten Fachgeschäft verschiedene Schaumstoffrollen beziehungsweise -bälle in unterschiedlichen Härtegraden austesten, bevor Sie sich für ein Modell entscheiden.

Das richtige Tempo
Während des Faszientrainings ist beim Rollen die richtige Geschwindigkeit sehr wichtig, denn wie so oft heißt es auch hier: Viel hilft nicht immer viel. Sportler, die das Training auf der Rolle zum Aufwärmen vor Training oder Wettkampf einsetzen wollen, sollten eher zügig arbeiten. Das beschleunigte Rollen bereitet das Gewebe auf den sportlichen Einsatz vor, regt die Durchblutung an und steigert die körpereigene Wahrnehmung. Ganz anders sieht es aus, wenn das Faszientraining verspannte Muskeln lockern soll oder zur Regeneration eingesetzt wird. Hier darf betont langsam gerollt werden. Eine Geschwindigkeit von etwa einem bis drei Zentimetern pro Minute gilt als optimal.
Jeder kann seine Faszien trainieren. Trotzdem sollte man Vorsicht walten lassen und sein Bindegewebe nicht überfordern. Vor allem Ältere und chronisch Kranke, aber auch frisch operierte oder verletzte Menschen sollten sich vor Trainingsbeginn an einen mit der Materie vertrauten Arzt wenden. Dann aber steht dem Faszientraining nichts mehr im Weg. Auszeiten sollte man sich allerdings auch gönnen. Dafür bieten sich beispiels-weise geeignete Klettergerüste auf Spielplätzen an. Einfach mal „abhängen“, wie es Faszienforscher Schleip empfiehlt, ist auch gut für die Faszien – probieren Sie es doch mal aus! tj //

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