Eine Frage der Dosis

Nach der Bergwanderung plagt er uns ebenso wie nach dem Work-Out: Muskelkater. Aber ist er nun zu vermeiden – oder sogar erstrebenswert? Der Sportwissenschaftler Urs Granacher kennt die Antwort.

Bei Liebeskummer verkrampft das Herz wochenlang und trotzdem bleibt Muskelkater aus. Gleiches gilt für die Augen, Muskelkater kennen sie praktisch nicht – nicht einmal, wenn sie in stressigen Phasen Tag und Nacht auf den Monitor starren. Ist dieses lästige Phänomen also wählerisch, was die Körperpartien betrifft? „Augen- und Herzmuskulatur sind ständig gefordert und regelmäßiges Training ist sowieso immer der beste Schutz vor Muskelkater“, sagt Urs Granacher, Professor für Trainings- und Bewegungswissenschaft an der Universität Potsdam. Und umgekehrt gibt es etwas, was schmerzende Muskeln begünstigt: die Art der Belastung. „Bei exzentrischer Arbeitsweise werden Muskeln am stärksten beansprucht“, erklärt der Forscher. Also dann, wenn Dehnung und Krafteinwirkung kombiniert sind. Mit dieser Form der Bewegung sind Oberschenkel und Waden am besten vertraut.  Etwa vom Bergabsteigen, vom Landenden nach Sprüngen oder auch nach Ballspielen mit ihren kurzen Sequenzen von Abbremsen und Beschleunigung. „Dass nicht jede Bewegung gleichermaßen Muskelkater zur Folge hat, weiß man seit einem Experiment im Jahr 1956“, berichtet Granacher. Damals habe man Versuchsteilnehmer immer wieder mit einem Bein auf einen Stuhl klettern und mit dem anderen Bein wieder hinabsteigen lassen, erzählt er. Das Ergebnis stand achtundvierzig Stunden später fest. „Muskelkater trat vor allem in dem Bein auf, mit dem der Abstieg bewältigt, also exzentrisch gearbeitet wurde.“

Warum es wehtut

Rund 650 Muskeln hat der Mensch, im Alltag sucht der Muskelkater am häufigsten die Beine heim, nach dem Besuch im Fitnessstudio auch gerne Bauch, Schultern und Arme. Nach heutigem Kenntnisstand ist seine Ursache in winzigen Verletzungen der Muskulatur zu suchen – und nicht in einer Übersäuerung der Muskeln durch Stoffwechselprodukte, wie es lange vermutet wurde. Wissenschaftler erklären den Muskelkater so: Wenn die Muskelzelle verletzt ist, dringt Wasser ein und die Zelle schwillt an, Schmerzen sind die Folge. Medizinisch behandlungsbedürftig ist ein einfacher Muskelkater nicht, zur Linderung der Beschwerden setzen manche auf einen Gang in die Sauna oder auf ein Glas Kirschsaft. Und nach ein paar Tagen, allerspätestens nach einer Woche, hat er sich wieder verflüchtigt.

Ist Muskelkater also gar nicht so schlimm? „Wer Kraft aufbauen will, muss seine Muskulatur sogar leicht schädigen“, erklärt Granacher, der neben der Lehre an der Universität auch Forschung im Leistungs- und Spitzensport betreibt. Denn in der verletzten Muskulatur finden auch Reparaturen statt. Die Muskelfasern werden dicker, der Muskel wächst – oft genug die Absicht dahinter, ins Fitnessstudio zu gehen. Und dennoch: Starker Muskelkater ist nicht erstrebenswert. „Wer bewusst trainiert, muss an seine Grenzen gehen. Den Muskel zu spüren, ist gut. Aber starke Schmerzen sind zu vermeiden. Die Kunst ist, die richtige Dosis zu finden“, meint der Sportwissenschaftler. Denn gezielter Muskelaufbau setzt regelmäßiges Training voraus, am besten zwei- bis dreimal die Woche. Dazwischen benötigt der Körper aber auch Zeit zur Regeneration. Fällt der Muskelkater nach dem Sport so stark aus, dass man eine Woche pausieren muss, war einige Mühe vergebens. 

Mit Museklkater ins Training?

Alles andere als ratsam ist es auch, auf die Zähne zu beißen und trotz Muskelkater an forderndem Training festzuhalten: Es droht ein Muskelfaserriss. „Wer zu heftig trainiert hat, sollte die Muskulatur auf keinen Fall weiter stark strapazieren, sondern stattdessen mit leichter Intensität die beanspruchte Muskulatur bewegen“, sagt Granacher. Das empfiehlt er ohnehin nach dem Training – auch dann, wenn nichts wehtut. Das heißt konkret: nach dem Fußball ruhig noch ein, zwei Runden ums Spielfeld traben; wer von einer steilen Talwanderung kommt, darf auch noch mal aufs Fahrrad steigen; und wer im Fitnessstudio bei Latzügen ins Schwitzen kam, kann zum Beispiel mit einem Theraband die Rückenmuskulatur durchbewegen. „Vor allem dynamische Übungen, bei denen An- und Entspannung aufeinanderfolgen, sind zur Regeneration geeignet, und zwar besser als das Dehnen in einer statischen Position.“ Beim Muskelkater ist Maßhalten also dringend geboten. Nur für eine Unterform gilt das nicht. „Sich selbst auf den Arm zu nehmen, gibt den besten Muskelkater“, schrieb einst ein kluger Autor. Hier darf man also übertreiben. Und auch aus sportwissenschaftlicher Sicht ist das völlig unbedenklich. jl //

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